Heute steht im Stadtrat die Entscheidung zum neuen Globus-Großmarkt am Bahnhof Dresden-Neustadt auf der Tagesordnung. Unsere Fraktion mit ihren 12 Mitgliedern zeigt dabei seit Beginn der Debatte ein von manchen unerwartetes, aber nicht unbegründetes Abstimmungsverhalten. 7 Mitglieder der Fraktion wollen das Vorhaben ablehnen, 5 Mitglieder, darunter auch ich, werden sich enthalten.
Ausgangspunkt für mich ist eine schon länger zurückliegende Überlegung, die eher im grundsätzlichen Bereich liegt. So lange ich Stadtratsmitglied bin hatte die PDS und später DIE LINKE in einer Art politischer Reflexhandlung jeden großflächigen Einzelhandel abgelehnt. Das Ergebnis war immer gleich: Jede Neuansiedlung, jede Erweiterung wurde am Ende doch im Rat beschlossen. Der Schutz des innerstädtischen Handels gegen diese Art von Konkurrenz ist grandios mißlungen. Die Handelszentren am Stadtrand, egal ob auf Dresdner Flur oder auf dem Territorium der Nachbargemeinden blühen und der innerstädtische Handel, den wir vorfinden, ist von einer Art, die trotz dieser Konkurrenz bestehen kann.
Damit war für mich aber die ursächliche Begründung für diesen politischen Reflex entfallen und ich plädierte damals für eine differenzierte Herangehensweise: wir müssen diese Unternehmen nicht lieben, aber sie sind nun einmal da und wir sollten deshalb den gegenseitigen Vorteil zwischen Handelsriesen und Stadt suchen.
Aus diesem Grund habe ich mich zu Beginn der Diskussion für Globus ausgesprochen und immer wieder geprüft, ob die ins Feld geführten Argumente meine Haltung dazu verändern können.
Das wesentlichste Gegenargument war die Abweichung von den ursprünglichen Planungen in diesem Gebiet. Die vom neuen Großmarkt belegte Fläche verhindert praktisch die Umsetzung einer vom Stadtrat schon einmal bestätigten Masterplanung für dieses Gebiet. In meiner Abwägung damals stand also eine Planung gegen ein konkretes Projekt. Die Planung enthielt allerdings einige kritische Elemente, die Bebauung der Hafengebiete mit Nobelwohnungen war mir nicht sehr symphatisch und die großzügig geplanten Grün- und Kulturflächen im Gebiet jenseits der Leipziger Straße sind aller Erfahrung nach Bestandtteile, die dann in der Realität doch nicht so umgesetzt werden wie vorgesehen. Dennoch reicht die durch das Globus-Projekt verursachte Planabweichung, um aus meiner Zustimmung eine Enthaltung zu machen.
Ein großer Komplex der Argumentation gegen Globus widmet sich den Folgen, die aus dem Kaufkraftabzug entstehen. Jeder Euro, der bei Globus später ausgegeben werden wird fehlt natürlich anderen Handelsunternehmen. Aber nicht jedes Handelsunternehmen, dass unter diesem Umsatzverlust leiden wird ist schützenswert. Ich muss also versuchen zu erfassen, welche Beeinträchtigungen eintreten und ob diese für meine Entscheidung wesentlich sind.
Aus meiner Sicht findet diese Umverteilung von Kaufkraft fast ausschließlich zwischen gleichartigen Unternehmen statt. Globus konkurriert aus meiner Sicht mit allen Supermärkten, die mit dem Auto gut erreichbar sind und für Vorratseinkäufe für Familien geeignet. Hier wiederum mit denen, die neben einem schnellen Einkauf auch noch ein gewisses Einkaufserlebnis versprechen. Hauptleidtragender wird also aus meiner Sicht der Elbepark sein, danach kommen alle unspezifischen Supermärkte mit Parkplatz entlang der Hauptverkehrsstraßen. Diese beiden genannten Leidtragenden sind aber für mich politisch nicht besonders schützenswert.
Nicht nachvollziehen kann ich die Sorgen derjenigen Händlerinnen und Händler, beispielhaft der im Gebiet der äußeren Neustadt, die vor allem auf Kundinnen und Kunden ohne Auto setzen. Ich halte es für wenig glaubhaft, dass sich viele der jetzt dort Einkaufenden in Zukunft zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf die andere Seite der Bahngleise begeben. Viel wesentlicher ist die Umverteilung von Kaufkraft innerhalb ähnlicher Geschäfte im fußläufigen Umfeld: Der Konsum klagt bereits jetzt über einen Umsatzrückgang von 18% in der Filliale Alaunstraße wegen des neuen REWE auf der Bautzner Straße. Klar. Wer bisher bis zum Konsum gelaufen ist und es jetzt zum REWE näher hat wird das neue Angebot nutzen. Aber das gilt eben nicht für den Globus-Markt: Dort in der Umgebung wohnt kaum jemand, der bisher bis zum Konsum gelaufen wäre.
Erstaunlicherweise hielt sich aber die vernehmbare Kritik an den erheblichen Ausweitungen der Handelsfläche von Lebensmitteldiscountern kleinerer und mittlerer Größe stark in Grenzen. Und es möge jeder einmal für sich prüfen, wie viele neue derartige Handelseinrichtungen in den vergangenenen Jahren eröffnet haben.
Hintergrund dieses erstaunlichen Missverhältnisses der Kritik an Globus und der Kritik an der Vielzahl der anderen neuen Handelseinrichtungen ist wahrscheinlich, dass mit Globus ein neuer Konkurrent den hiesigen Markt betritt. Die bisherigen Platzhirsche Konsum, Edeka, REWE schöpfen bisher fast die gesamte Kaufkraft in ihrem Segment ab und werden sicherlich an Umsatz einbüßen. Ich glaube aber nicht, dass ein eingreifen der Politik in diesen Bereich des freien Marktes sinnvoll ist: Die Gewinninteressen des einen gegen die Gewinninteressen des anderen zu schützen ist keine Stadtratsaufgabe. Ich empfehle nur allen, die großen Handelsunternehmen einmal bei Wikipedia näher zu betrachten. Edeka und Rewe werden dort mit weit über 40 Milliarden Euro Umsatz benannt, Globus mit knapp unter 7 Milliarden. Die Konsumgenossenschaft Dresden mit etwas übe 100 Millionen Euro Umsatz ist dagegen ein Zwerg und könnte als einzige auf ein Schutzinteresse der Dresdner Lokalpolitik plädieren.
Im Ergebnis finde ich hier nicht genügend neue Gegenargumente, allerdings viele Merkwürdigkeiten, die in anderen Argumentationsgängen ihre Spiegelung finden.
Ein weiterer, aber deutlich schwächerer Argumentationsgang ist die Frage, was denn alles sonst noch so dort auf dieser Fläche hätte gemacht werden können. Dabei gibt es aus meiner Sicht drei Untervarianten.
Die erste umfasst alle weichen Vorschläge, Parks, Schwimmbäder, öffentlichen Einrichtungen und dergleichen, für die es zwar Wünsche und Bedürfnisse gibt, die aber bisher nicht mit einer Planung untersetzt sind. Diese Argumentation ist wohlfeil und nicht ganz redlich. Sie nutzt den Wunsch auf Verbesserung in bestimmten Bereichen als Verhinderungsargument. Das würde ich auch an anderer Stelle strikt ablehnen. Diese Argumentation kann soundso nur gelten, wenn es sich um Flächen im städtischen Eigentum handelt, deren Verwendung an sich in der Hoheit des Stadtrates liegt. Hier aber ist der Grund und Boden nicht städtisches Eigentum, und insofern sind alle Erwägungen für andere Verwendungen der genannten Art sehr weit hergeholt.
Die zweite schlägt Wohnbebauung vor. Das entspräche dem Masterplan, insofern ist es in meine Stimmenthaltung bereits eingepreist. Zudem glaube ich nicht, dass sich die Situation für die bisher dort in der Nähe wohnenden in irgendeiner Weise verbessert wenn hochpreisige Neubauten errichtet werden.
Die dritte Untervariante befasst sich mit dem Verkehrsmuseum. Als kleine Zwischennotiz ist es in der Sächsischen Museumskonzeption erwähnt. Allerdings hat meine Fraktion ihre Haltung zum Standort des Verkehrsmuseums schon vor längerer Zeit und ganz unabhängig vom Globus-Projekt gefunden: wir wollen das Verkehrsmuseum am Neumarkt halten. Dort hat es möglicherweise nicht die besten musealen Bedingungen, aber es trägt zur Attraktivität des Neumarktes bei. Es ist ein Anziehungspunkt auch für solche Bevölkerungsgruppen, die sonst kaum Anlass hätten, den großbürgerlich umgeformten innerstädtischen Platz zu besuchen.
Insofern kann ich auch in diesem Argumentationskomplex nichts finden, was mich bewegt, aus der Enthaltung eine Gegenstimme zu machen.
Die Verkehrsfrage halte ich persönlich für sehr weit hergeholt: Ein Großmarkt an einem Fernbahnhof und den zwei Autobahnzubringern Großenhainer/Hansastraße und Leipziger Straße wird kaum unlösbare Verkehrsprobleme mit sich bringen. Und eine Sperrwirkung des Eisenbahndammes kann ja, im Sinne eines Schutzes der Handelseinrichtungen auf der anderen Seite, nur nützlich sein. Autofahrende Kundinnen und Kunden werden die erwartete Wegezeit selbstverständlich in ihre Entscheidung einbeziehen, welchen Markt sie für ihren Wochenendeinkauf ansteuern.
Zu guter Letzt will ich noch anmerken: Niemand wird gezwungen sein, in diesem neuen Markt einzukaufen. Alle können wie bisher auch frei entscheiden zwischen dem nahe liegenden Händler, dem Spätshop, dem hochpreisigen Supermarkt unten im Karstadt, dem Lidl oder Netto, der Verbrauchergemeinschaft, dem Internet-Lieferdienst. Die, die sich bisher für große Einkaufsmärkte erwärmen konnten, einmal im Jahr oder aller 14 Tage, haben nun einen weiteren zur Auswahl. Die gesellschaftlichen Fragen, die mich umtreiben, werden weder durch diese Wahlfreiheit noch durch die Erweiterung um einen neuen Großmarkt berührt. Im Gegenteil: eine Politik die versucht, die eigene bevorzugte Verhaltensweise als Norm anzusetzen ohne ganz genau die Notwendigkeit für den Gemeinnutz darzustellen ist mir suspekt.
Zur Kenntnis für Interessierte hier noch die Kommunalpolitischen Leitlinien und die Wirtschaftspolitischen Leitlinien der sächsischen LINKEN. Es findet sich auch dort keine weitere Argumentation, die aus einer Enthaltung in der Angelegenheit Globus eine Gegenstimme machen würde.